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Schlagwort: magersüchtig

Ich war magersüchtig

Ich war mal magersüchtig.

Nicht im Sinne des „süchtig danach mager zu sein“.
Mehr in Sinne “ich kontrolliere mein Essen radikal mit zu wenig Hintergrundwissen, in einer Zeit von viel psychischem Stress und mit immensem sportlichen Output durch Leistungsfussball”.
Also summa summarum: zu wenig Input, zu viel Output.

Dogmatische Essgewohnheiten

Durch das Bestreben, meine beste sportliche Leistung herauszuholen und einem großem privaten Umbruch, fokussierte ich mich immer stärker auf das engstirnige Festhalten meiner Essgewohnheiten.

Das Problem dabei war, obgleich ich merkte das meine sportliche Leistung immer mehr abnahm (früher immer unter den zweikampfsstärksten Spielern im Team, nun nach 50 Meter Sprint das Versagen meiner Beine), stellte sich mein Kopf gegen mich. Ich dachte immer noch, dass das was ich mir angelesen habe richtig sei. Das ich wusste wie “gesunde Ernährung” auszusehen hat. Retrospektiv betrachtet vollkommener Schwachsinn.

Wann hat “gesunde Ernährung” etwas mit Restriktion, Verboten, Einschränkungen und Selbstkasteiung zu tun?!

Lange Rede, kurzer Sinn: aus einem zweikampfstarken Spieler mit gesunden 75kg, wurde ein ausdauertechnisch starker aber sonst absolut schwacher 65kg-Leon. Social Media war damals erst im Kommen, aber das verschobene Körperbild und die oberflächlichen Ernährungstipps von “Experten” (Menschen die ein Sixpack hatten) haben mich zu einer dogmatische Lebenweise geführt.

Jeder hat heutzutage eine Stimme im Internet. Neben den positiven Seiten, dass mehr Zugang zu Informationen und einem breiteren Spektrum von Künstlern gegeben wird, sind die Gefahren insbesondere für Heranwachsende groß! Jugendliche setzen eine hohe Anzahl an Followern mit Expertenstatus gleich. Doch leider haben viele Beispiele gezeigt, dass mediale Reichweite nicht mit dem Wahrheitsgehalt der Aussagen gleichzusetzen ist.

Das hier soll nicht in eine sozialkritische Richtung ausarten, sondern meine Erlebnisse mit besagtem Phänomen schildern. Ich selbst bin als 15-jähriger diesem Scheinbild verfallen. Ich sah YouTuber mit Sixpack und wollte natürlich auch so werden. Ich hing an ihren Lippen. Jede Workout-Empfehlung und jeder Ernährungstipp wurde ausprobiert.

Ich habe meine Mum beim Einkaufen begleitet, weil sie ja nicht „fitnessgerecht“ genug eingekauft hat. Habe mir palettenweise Magerquark in den Einkaufswagen geladen und jede Kalorien getrackt.

Ich war versessen und in Kontrollzwang.

Und gerade deshalb habe ich mir auch nichts sagen lassen. Je fanatischer dieser Zwang der Kontrolle des Essens wurde, desto weniger habe ich auf meine Eltern oder Freunde gehört. „Schließlich wissen die nichts von alle dem, ernähren sich schlecht und haben einfach keine Ahnung, was ich erreichen will. Wieso soll ich auf Menschen hören, die nicht den Körper haben, den ich haben will?“… dachte ich mir.

Die Zeit, die ich dann durchgemacht habe, war die sportlich unerfolgreichste und frustrierendste Zeit meines Lebens!

Ernährung als Statussymbol

Sicherlich alles unter dem Schatten der privaten Schwierigkeiten mit Umzug, rausgerissen aus meinem Freundeskreis und neuer Fußballmannschaft (mein damals ein und alles im Leben). Dennoch können wenige Außenstehende nachvollziehen was es heißt in einen Kontrollzwang mit seinem Essen zu geraten.

Essen ist etwas sehr persönliches und hat einen wichtigen Stellenwert in unserer Kultur. Neben den Ritualen, die rund ums Essen entstanden sind (zu Festivitäten, einem wichtigen Meeting oder ein Candlelight-Dinner) dient unsere Ernährungsform als gesellschaftliches Aushängeschild.

Essen wir ayurvedisch, vegan, vegetarisch, paleo, ketogen, flexitarisch oder stopfen wir einfach unbewusst irgendetwas in uns hinein, um unseren Hunger zu stillen? Alle diese Ernährungsformen haben ihre eigenen Subkulturen und Wertesysteme errichtet. Von Facebook-Gruppen über Meet-ups bis hinzu sozioökonomischen Auswirkungen, wie eigenen Sortimentregalen in Supermärkten und Politkdiskussionsrunden im Fernsehen.

Essen ist ein Status-Signal. Und deshalb fühlen sich viele Menschen mit Zwängen rund ums Essen auch direkt persönlich angegriffen. Mir ging es genauso. Warum soll ich mir da reinreden lassen? Ich weiß doch was für mich gut ist! Ich bin überzeugt davon. Doch wie mit jeder Überzeugung kann diese schnell in eine Ideologie abrutschen. Wenn Meinungen und Glaubenssätze mit Fakten verwechselt werden.

Die Waage sagte damals klar und deutlich, dass ich immer mehr abnehme, obgleich dies nie mein Ziel war und meine sportliche Performance nahm immer mehr ab. Dennoch habe ich an meiner Art mich zu ernähren festgehalten.

Jordan Peterson hat dies einmal sehr gut zusammengefasst:

Idealogues are people who pretend they know how to ‚make the world a better place‘ before they’ve taken care of their own chaos within.

Ich weiß, dass es viele Menschen gibt, bei denen das Thema Magersucht andere Beweghintergründe hat und zum Teil dazu führt, dass Menschen sich zu Tode hungern. Mit diesem Beitrag möchte ich dem Thema mehr Aufmerksamkeit geben. Dabei möchte ich betonen, dass der Druck im innern – nicht gut genug zu sein, einem bestimmten körperlichen Ideal zu entsprechen oder sich selbst zu schaden – so immens groß ist, dass jeglicher Druck von außen meist nur zu mehr Isolation führt.

Mager-Sucht

Letztlich ist dieses Thema häufig ein Ausläufer eines geringen Selbstwertgefühls oder eine Bewältigungsstrategie für Traumata aus der Vergangenheit. In dem Wort Magersucht steckt das Wort Sucht. Dr. Gabor Mate, ungarisch-kanadischer Arzt und Spezialist zum Thema Sucht, definiert Suchtverhalten wie folgt:

A behavior that gives relief in the shortterm but has negative consequences in the longterm combined with an inability to give it up

Er beschreibt ebenso, dass der erste Schritt, um mit Sucht umgehen zu lernen Mitgefühl ist. Der Süchtige weiß um seine Sucht und die Scham, die er damit verbunden fühlt spornt das Suchverhalten nur an. Deshalb ist Mitgefühl die wichtigste Zutat, um langfristig Sucht in den Griff zu bekommen.

Bei mir war es der Arztbesuch, zu dem mich meine Mutter irgendwann überredet hat. Da sich meine Haut leicht gelblich färbte und sie wollte dies überprüfen lassen. Als mir der Arzt dann sagte, dass ich eine leichte Form der Anorexie habe, wurde mir erstmal nicht klar was dies zu bedeuten hat. Doch eines war mir bewusst: Ich hatte einen riesigen Fehler gemacht!

Dieser Fehler war nicht in der Ernährungsform zu suchen. Für manche Menschen funktioniert Low-Carb, für manche Menschen funktionier Hochleistungssport. Für mich hat einfach die Kombination nicht funktioniert. Doch der Fehler war, dass ich nicht auf meinen Körper gehört hatte. Und dies wurde mir in dem Moment schlagartig bewusst.

Natürlich hatte ich ständig Hunger und kalte Füße, doch ich habs ignoriert, weil es noch nicht Zeit war zu essen (ich musste immer mindestens 3-4 Stunden Abstand lassen zwischen den Mahlzeiten). Mir wurde bewusst wie sehr ich mein Körpergefühl in die Ecke gestellt hatte und meinen Kopf über meinen Körper hatte entscheiden lassen. Kopf und Körper sind einen untrennbare Einheit. Doch ein Ungleichgewicht zwischen den beiden kann fatale Folgen haben.

Die Kopf-Körper-Krankheit

In unseren westlichen Gesellschaftlich sitzen wir zumeist (Körper ruht) und der Kopf macht all die Arbeit. Da dies mehrere Stunden am Tag so abläuft und von der Grundschule an so beigebracht wird, dass nur intellektuelle Fähigkeiten benotet, bewertet und damit belohnt werden, haben wir ein massives Ungleichgewicht zwischen Kopf und Körper.

Mittlerweile wiege ich 90kg und mein Gewicht spielt für mich absolut keine Rolle mehr. Der entscheidenen Punkt ist, dass ich gelernt habe auf meinen Körper zu hören. Ich will mich gut fühlen in meiner Haut und alles mit meinem Körper anstellen können, was ich mir nur vorstellen kann.

Das Bild im Spiegel ist zwar schön und auch ein Zeichen meiner Arbeit, die ich in meinen Körper investiere, aber was bedeutsamer ist ist, wie sich der Mensch vor dem Spiegel innerlich fühlt!

Und in dieser Zeit meines Lebens habe ich mich absolut leer und unglücklich gefühlt. Natürlich bin ich meinen Hobbies nachgegangen und habe auch mal Lachen können. Doch es war keine wirkliche tief empfundene Lebensfreude. Und das wird jedem so gehen, der in einer Sucht hängt. Das Leben zieht an einem vorbei, weil man nicht mit vollem Herzen daran teilnimmt. Man ist in seinem Kopf gefangen und denkt es wäre alles gut und richtig so. Doch das ist der Punkt:

Zu denken es ist alles gut, statt sich gut zu fühlen!

Wie mit jeder Sucht ist auch Magersucht kein einfaches Thema und ich möchte mit diesem Beitrag ein paar Anstöße geben, die vielleicht dazu führen, dass du deine Situation durch eine andere Perspektive betrachtest. Letztlich ist alles eine Frage der Perspektive.

An dieser Stelle nochmal DANKE! an alle Monkey, die unter dem originalen Instagram-Beitrag fleißig mit 🍌 kommentiert haben, sodass ich in diesem Beitrag meine Geschichte ein wenig ausführen konnte. Und vor allem danke, wenn du bis hierhin gelesen hast. Lass mich gerne deine Meinung zu dem Thema per Instagram Nachricht wissen.

Wie immer, von Herzen:
Keep moving, stay sexy
Dein Leon 🐒